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Eine Katastrophe

Andreas Forster

Redakteur Dingolfinger Anzeiger

EVD-Vorsitzender Jürgen Ohr über eine verlorene Saison und die Perspektiven

Egal ob Eishockey, Handball oder Fußball: Der Breitensport steht wegen Corona schon seit Monaten still. Vor allem für die Kinder und Jugendlichen ist dieser Umstand eine mittlere Katastrophe. Im Gespräch mit dem EVD-Vorsitzenden Jürgen Ohr wird klar, dass die Corona-Krise vor allem für die Sportvereine in der Post-Corona-Zeit zu einem großen Problem werden kann.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Der EV Dingolfing bedankte sich im Februar 2020 nach dem letzten Heimspiel bei den treuen Fans. (Foto: Eva Fuchs | Hockeypics)

DA: Herr Ohr, draußen ist es kalt. Seit einigen Jahren kann man wirklich von einem Winter reden. Wie sehr vermissen Sie die Eishalle?

Jürgen Ohr: Letzte Woche musste ich kurz in die Eishalle, um was aus dem Vereinsbüro zu holen. Als ich das perfekt gemachte Eis liegen sah, hatte ich so einen Stich abbekommen und den ganzen Tag schlechte Laune. Wir haben den ganzen Sommer und letztendlich die letzten zwei Jahre auf diese Saison hingearbeitet. Mit den Mannschaften und dem gesamten Nachwuchstrainingskonzept wären wir dieses Jahr in vielen Altersgruppen einen großen Schritt weitergekommen. Es ist für mich und alle meine Vereinskameraden unglaublich schmerzlich, nun fast eine ganze Saison auszusetzen.

1.000 Zuschauer wären möglich gewesen

DA: Vor allem der sportliche Aspekt dürfte Sie richtig schmerzen. Die Mannschaft war für die Landesliga hervorragend zusammengestellt und ein Topfavorit auf den Aufstieg. Die Zuschauerzahlen wären wohl weiter gestiegen.

Jürgen Ohr: Wenn man die Erste Mannschaft isoliert betrachtet, ist der Schmerz nicht kleiner. Wir hatten ein unglaublich motiviertes Team aus vielen Dingolfinger Spielern und mit Billy Trew einen Top-Coach. Somit die besten Voraussetzungen in dieser Saison den Sprung in die Bayernliga zu schaffen. Das konnten die Fans und Zuschauer in den ersten Spielen bis in die Ränge spüren, wie motiviert und mit welcher Leidenschaft wir gespielt haben. Sogar als neun unserer Topspieler in Quarantäne mussten, haben wir mit einer reduzierten – quasi „Notmannschaft“ – Favoriten wie Bayreuth daheim geschlagen. Die Zuschauer in Dingolfing reflektieren den Spirit am Eis. Das spricht sich herum und ich bin mir sicher, in diesem Jahr hätten wir die 1000er-Marke an Zuschauer zu den Top-Spielen gerissen.

Sorgt sich vor allem um die Zukunft der Kinder im Dingolfinger Eishockeysport: EVD-Vorsitzender Jürgen Ohr.

DA: Die Saison ist mittlerweile abgebrochen. Hat der Verband zu vorschnell reagiert?

Jürgen Ohr: Ich denke nein. Es ist unglaublich kompliziert so viele verschiedene Vereine unter diesen ständig wechselnden Bedingungen unter einem Spielmodus zu vereinen. Ich war in einigen Videokonferenzen beteiligt und habe hautnah miterlebt wie man vom Verband aus bemüht ist, immer wieder die richtigen Entscheidungen zu treffen und die Vereine mitzunehmen. Die Verantwortlichen vom BEV haben meiner Meinung nach mit ungeheurem Engagement das Möglichste getan. Doch jeglicher Versuch, etwas stabil ins Laufen zu bekommen, wurde durch quarantäne-bedingte Spielabsagen oder letztendlich durch die politische Entscheidung die Sporthallen zu schließen, zunichtegemacht.

Langzeitfolgen für den Nachwuchs

DA: Für die Kinder beim EV Dingolfing ist die Situation noch dramatischer. Ich habe selbst Eishockey gespielt und weiß daher sehr gut, dass ein Jahr ohne Eishockey im Kindesalter (fast) nicht mehr aufzuholen ist. Wie viele verzweifelte Eltern und Kinder mussten Sie trösten?

Jürgen Ohr: Ich sehe die Folgen für den Nachwuchs aktuell als tatsächlich größtes Problem. Eine komplett ausgefallene Saison hat für die Kinder und Jugendlichen Langzeitfolgen. Eishockey ist eine der kompliziertesten Sportarten. Schlittschuhlaufen, gleichzeitig den Puck führen und den Gegner beobachten, um keinen Check zu kassieren, fördert nicht nur Kraft, Technik und Koordination, sondern auch in hohem Maße das geistige Aufnahmevermögen. Der große Unterschied zu vielen anderen Sportarten ist, dass Eishockey nur auf dem Eis, also nicht daheim oder im Stadion trainiert werden kann. Mit dem Ausfall einer Saison nehmen wir den Kindern ein Jahr Entwicklung, das aus sportlicher Sicht nicht aufzuholen ist. Deshalb schmieden wir intern gerade Pläne, um dies in einer eventuell verlängerten Saison in das Frühjahr beziehungsweise den Sommer hinein zu kompensieren. Wir sind bereits mit der Stadtverwaltung im Gespräch über eine eventuelle Verlängerung der Eiszeit, sofern es die Pandemie und das Wetter zulassen.

„Die Kinder leiden“

DA: Eishockey ist ein Teamsport. Welche Auswirkungen kann der Wegfall jeglicher sozialer Kontakte in der Coronazeit für die Kinder und Jugendlichen haben?

Jürgen Ohr: Eishockey ist ein harter und schneller Sport. Speziell für Jungs hervorragend geeignet, die ein höheres Pensum an Energieableitung benötigen, um sich aufs Lernen konzentrieren zu können. Mir berichten viele Eltern davon, wie deren Kinder unter dem zum Teil fünfstündigen Homeschooling, Bildschirmschauen und dem fehlenden Austausch mit ihren Kameraden auf dem Eis leiden. Oftmals sind die Eltern darüber sehr verzweifelt, weil Sie zuschauen müssen, wie sich ihre Kinder unwohl fühlen, aggressiv und immer träger werden. Einige berichten mir auch davon, dass die Kinder mittlerweile Übergewicht zulegen und für keine andere Art von körperlicher Betätigung zu begeistern sind. Teamgeist, Kameradschaft und die gemeinsame Leidenschaft für einen Sport, ist so unendlich wichtig für die Entwicklung unserer Kinder und Jugendlichen. Ich wünsche mir sehr, dass wir bald wieder öffnen und das soweit es geht wieder aufholen können.

Unterstützung der Stadt ist großartig

DA: Wie kann der Verein das Ganze vor allem finanziell regeln? Eishockey ist ein Sport, in dem man in Vorleistung gehen muss. Schläger, Schlittschuhe und Co. sind sehr teuer. Gibt es da Lösungen im Verein für dieses Problem?

Jürgen Ohr: Das ist nicht einfach. Mit Philipp Ferstl, dem Schatzmeister, habe ich regelmäßigen Austausch, um den Verein finanziell über Wasser zu halten. Wir hatten schon mehrfach die Situation zahlungsunfähig zu werden und dann doch Lösungen gefunden um dies abzuwenden. Da steckt viel Arbeit dahinter. Die laufenden Kosten zu stemmen ohne die beiden größten Einnahmequellen wie Eintrittsgelder und Kiosk ist eine Herausforderung. Zum Glück gibt es Unterstützungen wie zum Beispiel Kurzarbeitsregelung und Novemberhilfen auch für Vereine. Sonst gäbe es den Verein nicht mehr.

DA: Hoffen Sie auf Hilfe der Stadt Dingolfing?

Jürgen Ohr: Die Stadtverwaltung in Dingolfing unterstützt uns hervorragend durch die Vereinsförderprogramme. Diese sind im Vergleich zu anderen Städten schon sehr komfortabel. Wenn wir besondere Anschaffungen haben, wie zum Beispiel die Ausrüstung für Live-Streaming, bekommen wir auch hier Unterstützung, die schnell bearbeitet und ausbezahlt wird. Von der Seite sind wir mit dem Angebot der Stadt sehr zufrieden. Ich bin sicher, dass die Verwaltung auch die Auswirkungen der Verlängerung des Lockdowns auf die vielen Vereine in Dingolfing beobachtet und darauf reagieren wird, wenn es notwendig wird.

DA: Noch einmal zurück zur Ersten Mannschaft. Zwei Spieler sind bereits nach Passau gewechselt. Der Rest ist praktisch zum Zusehen verdammt. Wird man versuchen in der kommenden Saison mit derselben Mannschaft das zu schaffen, was in diesem Jahr verwehrt blieb. Sprich den Aufstieg?

Jürgen Ohr: Sie sind sehr lange am Eishockey interessiert und kennen das Umfeld sehr genau. Generell kann man keinen sportlichen Aufstieg planen, man kann nur die Voraussetzungen schaffen, um es zu versuchen. Die hatten wir in dieser Saison Zweifels ohne. Alleine, dass zwei unserer Dingolfinger Eigengewächse nun in der Oberliga in Passau spielen, zeigt die Schlagkraft des diesjährigen Teams. Ob wir dies auch in der nächsten Saison wieder hinbekommen ist fraglich, zumal man die Auswirkungen der Pandemie auf die Personen, unseren Verein und auch auf die anderen Vereine in der Liga, nicht vorhersagen kann. Trotzdem setzen wir uns dafür ein, dass wir sowohl den Nachwuchs als auch die erste Mannschaft trotz der Situation weiterentwickeln, um das Möglichste zu erreichen. Und da gehört das Ziel Aufstieg mit auf die Wunschliste für die Saison 21/22.